Im Interview: Ein hidden Champion erfindet sich neu

Der älteste Industriekonzern der Schweiz setzt schon seit Jahrzehnten auf hochwertige Isoliersysteme. Mit der Elektrifizierung bricht für Von Roll ein neues Zeitalter an. Interview mit CEO Dr. Christian Hennerkes.

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Interview

Überblick über das Von Roll Firmengelände
Überblick über das Von Roll Firmengelände
Von Roll Hauptsitz, Breitenbach, Schweiz
Überblick über das Von Roll Firmengelände
Von Roll Hauptsitz, Breitenbach, Schweiz

Ein Interview zwischen wallstreet:online und Von Roll CEO Dr. Christian Hennerkes

Als Christian Hennerkes 2016 den Geschäftsführerposten der Von Roll AG übernahm, war vom Glanz des altehrwürdigen
Schweizer Industriekonzerns nicht mehr viel übrig. Von Roll schrieb jährlich 20 bis 50 Millionen Euro Verlust, die meisten
der 19 Standorte waren defizitär. Seither hat der ehemalige BCG-Manager das Unternehmen umgekrempelt. Heute ist
Von Roll schuldenfrei und alle Standorte arbeiten profitabel, wie Hennerkes im Interview mit wallstreet:online berichtet.

Nach jahrelanger Aufbauarbeit ist für den Manager die Zeit gekommen, über das Erreichte zu sprechen und einen
Einblick in die Zukunftsprojekte des Unternehmens zu gewähren. Mit der w:o Redaktion spricht er über das aufstrebende
Automotive-Geschäft, mögliche Übernahmen und das große Potenzial der Von Roll-Aktie.

wallstreet:online: Herr Hennerkes, Von Roll ist vor allem in der Schweiz vielen Menschen ein Begriff, als Stahlhersteller
mit einer langen Geschichte. Mittlerweile liegt der Fokus jedoch in einem ganz anderen Bereich.

Christian Hennerkes: Unser heutiges Kerngeschäft hat nichts mehr mit Stahl, sondern mit der Energieerzeugung und
der weltweiten Elektrifizierung zu tun. Wir sind Weltmarktführer für elektrische Isoliersysteme, die in jeder elektrischen
Anwendung benötigt werden. Unsere größten Absatzmärkte sind Produkte für Industriemotoren und große Stromgeneratoren
in Kraftwerken und Windrädern. Wir haben diese Systeme schon vor 40 Jahren für große Wasserkraftwerke nach China
geliefert. Die Schweizer Qualität wird auf dem chinesischen Markt sehr geschätzt.

Daneben gibt es den Bereich der Industrieharze, die vom Handy bis zum Auto für den Schutz der Elektronik verwendet werden.
Es handelt sich dabei um Spezialchemie, die auf vielen Fertigungsstraßen eingesetzt wird. Für den Anwender oft unsichtbar,
zur Verbesserung der Leistung jedoch unverzichtbar.

wallstreet:online: Jetzt tut sich mit der Energiewende und der rasant fortschreitenden Elektrifizierung des Verkehrs ein komplett
neues Geschäftsfeld auf. Welche Rolle spielt das Thema für Von Roll?

Christian Hennerkes: Der Bereich Automotive ist noch klein, wächst aber mit hohem Tempo. Genauso schnell wachsen
mittlerweile die Anforderungen an die E‑Motoren und Batterien: Hohe Reichweiten, schnelles Aufladen, und das möglichst
immer leichter und leistungsstärker. Mit der Leistung steigen aber auch die technischen Herausforderungen, beispielsweise
in Bezug auf Kühlung der Batterie und elektrische Teilentladungen im Motor.

Der Trend geht in Richtung Hochvoltsysteme. Ein Bereich, in dem sich Von Roll traditionell bestens auskennt. Unsere Systeme
für den Einsatz in grossen Kraftwerken müssen vielfach höheren Belastungen über Jahrzehnte standhalten.

wallstreet:online: Was macht Von Roll, was große Autohersteller wie Volkswagen nicht selbst herstellen können?

Christian Hennerkes: Der elektrische Antriebsstrang besteht aus zahlreichen Komponenten. Nicht für jedes Bauteil verfügt
der Hersteller über eigene Kompetenzen. Die Materialien für das elektrische Isoliersystem werden bei uns seit mehr als
100 Jahren entwickelt, produziert und getestet. Von dieser Erfahrung profitieren unsere Kunden.

Foto von Christian Hennerkes
Dr. Christian Hennerkes, CEO Von Roll Group
Foto von Christian Hennerkes
Dr. Christian Hennerkes, CEO Von Roll Group

wallstreet:online: Der Wandel hin zur Elektromobilität soll ja vor allem nachhaltig sein. Wie schafft es Von Roll als Teil
der Wertschöpfungskette, diese Anforderungen zu erfüllen?

Christian Hennerkes: Tatsächlich steht das Thema Nachhaltigkeit in den Gesprächen mit unseren Kunden regelmäßig
im Fokus. Dabei geht es sowohl um Umwelteinflüsse wie auch um ethische Arbeitsbedingungen über die gesamte Lieferkette.
Was bei der Batterie das Lithium ist, ist bei der Isolierung der Glimmer. Diesen Rohstoff – der in den Medien häufig mit
Kinderarbeit in Verbindung gebracht wird – bauen wir seit über 30 Jahren in unseren eigenen Minen unter enger Kontrolle ab.
Das verschafft uns gegenüber der Konkurrenz einen wichtigen Wettbewerbsvorteil.

wallstreet:online: Für viele Anleger ist Von Roll im wahrsten Sinne des Wortes ein „Hidden Champion“. Es war still um das
Unternehmen in den vergangenen Jahren. Warum ist die Aktie nicht schon längst auf dem Radar von Investoren und Analysten?

Christian Hennerkes: Wir haben das Unternehmen fünf Jahre lang saniert und in dieser Zeit auch viele neue, talentierte
Mitarbeiter gewonnen. Wir stehen mittlerweile sehr gut da, sind profitabel, schuldenfrei und haben eine Eigenkapitalquote
von über 75 Prozent. Mit rund 220 Mio. EUR Umsatz sind wir aber vermutlich für viele Anleger noch zu klein,
um auf dem Radar zu erscheinen.

Ich bin mir sicher, das wird sich ändern. Wir haben tolle Produkte, die für die Zukunft der Elektrifizierung wichtig sind.
Wir waren schon früh auf dem Markt der Elektromobilität dabei, unter anderem als einer der ersten Zulieferer für Tesla.
Wir schätzen, dass unsere Produkte mittlerweile in fast jedem zweiten Elektroauto in Europa stecken. Auch für das größte
Offshore-Windrad der Welt produziert Von Roll das elektrische Isoliersystem.

Unsere Produkte sind sehr technisch und erklärungsbedürftig. Doch jetzt, wo die Themen Energiewende und Elektromobilität
so stark an Bedeutung gewinnen, glaube ich, dass sich auch viele Investoren mit unseren Märkten beschäftigen.

wallstreet:online: Welches Wachstum streben Sie an für die kommenden Jahre?

Christian Hennerkes: Wir wollen jährlich mit deutlich zweistelligen Raten wachsen. Wir haben viele spannende Projekte
in der Pipeline. Aber die Zulassungszyklen bei unseren Kunden bis zur Marktreife sind häufig langwierig. Im Umsatz werden
sich neue Projekte also erst in ein bis drei Jahren widerspiegeln.

Die Von Roll-Aktie ist also ein Wert, bei dem man etwas Geduld mitbringen muss.
Dafür gibt es die Chance, als Anleger früh dabei zu sein.

wallstreet:online: Die Aktie ist in den vergangenen Jahren zum Pennystock und damit auch zu einer Art Spielball für
Investoren geworden. Wie möchten Sie Investoren die Aktie schmackhaft machen?

Christian Hennerkes: Die Aktie hat auch wegen des geringen Streubesitzes von etwa 20 Prozent eine hohe Volatilität.
Dafür haben wir aber mit der Familie von Finck, die rund 80 Prozent der Anteile hält, einen starken Ankerinvestor, der am
langfristigen Erfolg des Unternehmens interessiert ist. Grundsätzlich besteht auch die Möglichkeit, Aktien zusammenzufassen,
um aus dem Pennystock-Bereich herauszukommen.

wallstreet:online: Sind für das künftige Wachstum auch Übernahmen geplant?

Christian Hennerkes: Unbedingt! Wir sind schuldenfrei, kerngesund und intensiv auf der Suche nach Übernahmezielen.
Doch in den vergangenen Jahren war es oft nicht möglich, Übernahmeziele zu vertretbaren Preisen zu finden. Durch die
Zinswende und die wirtschaftliche Abkühlung hoffen wir, dass die Bedingungen und damit auch die Preise sich wieder etwas normalisieren.

wallstreet:online: Wie wirken sich denn die Zinswende, die Rohstoffkrise und die drohende Rezession bei Von Roll aus?

Christian Hennerkes: Auch für uns haben sich die Rohstoffpreise deutlich erhöht. Doch wir konnten hiervon einen Großteil
aufgrund unserer starken Stellung am Markt an unsere Kunden weitergeben. Angesichts der weltweit gestörten Lieferketten setzen
viele Autobauer wieder stärker auf lokale Zulieferer. Da können wir mit unserer weltweiten Präsenz punkten und haben einen klaren
Vorteil gegenüber Low-Cost-Anbietern aus Asien.

Trotz der weltweiten politischen Turbulenzen spüren wir aufgrund des Booms in der Energiewende bislang keinen Rückgang bei
der Nachfrage. Sollte es hingegen zu einer tiefen Rezession und stillstehenden Bändern bei unseren Kunden kommen, würden
wir sicherlich auch nicht ganz verschont bleiben.

wallstreet:online: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hennerkes.

 

Die Fragen stellte Julian Schick, wallstreet:online Zentralredaktion